Montag, 21. September 2015

Vortrag zum Thema "...und die Wahrheit wird Euch frei machen."

Heute Abend soll es um einen Satz gehen:

"…und die Wahrheit wird Euch frei machen." (Joh 8,32 )

Dieser Halbsatz reicht für riesige Bücher, ohne an ein Ende zu kommen. Ich möchte ebenfalls versuchen, ein Licht darauf zu werfen. Unvollständig natürlich, doch es dient dazu einen bestimmten Gedanken zu verfolgen, wozu es hoffentlich reicht.

3 Dinge sind es, die zu betrachten wären:
  • Was ist Wahrheit?
  • Was ist Freiheit?
  • Wie kann die Wahrheit – doch wohl ein Abstraktum – etwas machen? Oder ist das nicht wörtlich zu nehmen, sondern eher zu verstehen wie: „Wo Wahrheit ist, da ist Freiheit.“?
Wir werden sehen.

Wahrheit

Für die Wahrheit gilt erst einmal etwas ganz grundlegendes, fast banales: sie muss stimmen.
Vor Gericht aufgefordert, die Wahrheit zu sagen, muss ich das sagen, von dem ich überzeugt bin, dass es den Tatsachen entspricht. Dabei ist nicht das gemeint, was ich gern als richtig sähe, weil es mir Glaube oder Weltanschauung vorschreiben. Auch nicht, was besser für mich oder einen anderen Menschen wäre. Wahr ist, was stimmt, nicht, was moralisch wünschenswert wäre. Die Wahrheit ist etwas Unzensiertes, Ungeschminktes, geradezu Nacktes: sie beschreibt schlicht das, was ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger: auch das Verschweigen von Tatsachen ist eine Abkehr von der Wahrheit.
Ich habe den Verdächtigen am Tatort gesehen. Auch wenn ich ihn mag: darüber falsch auszusagen wäre genauso unwahr, wie zu verschweigen, dass er nicht allein war.
Ich kann nichts als Wahrheit bezeichnen, von dem ich weiß, dass es nicht stimmt. Genauso wenig kann ich etwas, das ich als stimmig erkenne, verleugnen, wenn ich die Wahrheit sagen will. Die Wahrheit sei vorläufig einmal die Summe all dessen, was stimmt.

Doch hier stellt sich natürlich die Frage: was stimmt denn alles?
Einmal gehören zur Wahrheit die erkennbaren Tatsachen. In einem Raum liegt ein Haufen Glasstücke und Drähte. Gefragt, was in dem Raum ist, antworte ich: Glas und Drähte, zusammen auf einem Haufen. Es stimmt. Zweifellos ist die Aussage daher erst einmal wahr, denn sie stimmt mit den Tatsachen überein. Doch ist es damit auch das, was wir Wahrheit nennen?
Die Frage ist berechtigt, denn bei dem Haufen Glasstücken und Drähten handelt es sich um einen Kronleuchter, der noch nicht hängt. Ich erkenne das vielleicht nicht, und doch ist das, was in meiner Beschreibung nach Sperrmüll klingt, in Wirklichkeit eine wunderschöne Lichtquelle - man muss sie nur aufhängen und anschließen.
Glas und Drähte sind mehr, als sie mir zu sein scheinen. Sie haben ein Potential, das nicht sofort ersichtlich ist; dennoch gehört es unbestreitbar zur Wahrheit über diesen Glashaufen, denn auch dies stimmt: das ist ein Leuchter. Es hat keinen Sinn, das Potential aus der Wahrheit ausklammern zu wollen, weil es keine Tatsache sei: es ist eine. Für mich wird das spätestens dann ersichtlich, wenn die Müllabfuhr auf mein beschränktes Urteil hin Glasstückchen und Drähte entsorgt hat und der Besitzer es bemerkt: ich zahle Schadenersatz für einen Kronleuchter, nicht für Scherben und Draht. Das Potential gehört zur Wahrheit, wenn sie der Definition, dass sie alles Stimmende enthält, standhalten soll.

Doch hier ergibt sich ein weiteres Problem: es gibt viele Potentiale. Der Einwand, aus den Drähten hätte man auch einen schönen glasbehängten Zaun fertigen können, ist wichtig. Ein Zaun könnte durchaus sinnvoll sein. Was spricht dagegen? Der Zaun ist machbar, das stimmt. Doch ebenso stimmt, dass das Kronleuchter zu sein dem Glashaufen mehr entspricht. Ist es nun ein Kronleuchter, aus dem man auch einen Zaun machen kann, oder ein Zaun, der auch als Leuchter aufgehängt werden könnte, oder ist es schlicht beides? Was bevorzugt Kronleuchter gegenüber Zaun? Wie soll man unter mehreren Potentialen das wahre herausfinden?
Dazu ein anderes Beispiel, das dieses Problem noch schärfer beleuchtet. Ein Ziegelstein eignet sich zum Bauen – das stimmt. Er eignet sich ebenso dazu, ein Fenster einzuwerfen – auch das stimmt. Verstehe ich die Wahrheit als Summe aller offenbaren und versteckten Eigenschaften und Potentiale einer Sache oder Person, stehen dort Hausbau und Zerstörung als Möglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander. Was unterscheidet beide? Die Moral ist es nicht. Sie könnte mein Handeln bewerten, aber nicht den Stein selbst.
Der Unterschied liegt in etwas, was gar nicht mehr im Stein selbst zu finden ist, sondern außerhalb: der Stein ist zum Bauen gedacht, nicht zum Zerstören.
Unter all den Potentialen, die in jedem Ding verborgen sind, ist eines das wahre: das, was angedacht wurde. Es ist wahr, dass es viele Möglichkeiten, die man mit einem Ziegelstein hätte: zerbrechen, in den See werfen, vergraben, meinem Nächsten den Schädel einschlagen, als Briefbeschwerer nutzen etc…, von denen durchaus nicht alle schlecht sind. Doch es ist auch wahr, dass nur eine oder wenige davon dem Gegenstand wirklich entsprechen. Die Bestimmung gehört zur Wahrheit. (Wenn Sie das nicht glauben, fragen Sie einmal einen Ziegelhersteller, warum er tausende Mordwaffen herstellt. Er wird Ihnen sehr deutlich erklären, dass es darauf ankommt, wozu etwas gedacht ist.)
Für all diese Aspekte dessen, was stimmt, gibt es ein deutsches Wort: das Wesen einer Sache. Es ist die Summe all dessen, was eine Sache zu dem macht, was sie ist, auch und gerade dann, wenn das nicht sofort ersichtlich ist. Es ist das Wesen eines Ziegelsteins, hart, kantig und Baustein zu sein. Es ist das Wesen eines Kronleuchters, aus Glas und Drähten zu bestehen und Lichtquelle zu sein. Es gehört zum Wesen eines jeden Dinges, das sein zu sollen, wozu es gedacht ist, wozu es bestimmt ist.
Was also ist die Wahrheit? Ich definiere sie als das Licht, in dem das Wesen von etwas sichtbar wird. In diese Definition passen auch wahre Freunde du wahre Klugheit, abstrakte „Dinge“ also, die mit messbaren Tatsachen nicht erfassbar sind.

Freiheit

Freiheit wird meist als Möglichkeit, sich zu bewegen, zu entwickeln und zu wandeln verstanden. Als Sein ohne Einschränkungen, ohne Begrenzungen. Doch ist es das wirklich? Ist die Freiheit frei für alles?
C.S. Lewis schreibt: "Die Freiheit, eine Giraffe mit kurzem Hals und kurzen Beinen zu zeichnen, gibt es nicht. Es wäre eben keine Giraffe mehr... Ich kann einen Tiger von seinen Gitterstäben befreien, doch nicht von seinen Streifen."
Einem Vogel die Flügel mit der Begründung abzuschneiden, man wolle ihn davon befreien, verbietet sich. Es wäre Befreiung in die Unfreiheit hinein: er kann nicht mehr fliegen. Die Giraffe ist sie selbst durch ihren langen Hals, der Tiger durch seine Streifen, der Vogel durch seine Flügel. Davon kann man nicht befreien. Es gibt also Dinge, von denen man nicht frei sein kann: Freiheit existiert prinzipiell nur mit Einschränkungen. Es sind die Aspekte, die das Wesen der zu befreienden Sache oder Person beeinträchtigen.
Tolkien gibt in seinem „Herrn der Ringe“ eine hervorragende Definition von Freiheit. Saruman hat einen Damm gebaut, um zu verhindern, dass Wasser seine Rodungsarbeiten stört, und er vernichtet den Wald. Als die Ents kommen und seinen Turm angreifen, ertönt der Ruf: „Zerstört den Damm – befreit den Fluss!“. Jeder versteht es sofort: der Fluss wir nicht AUS seinem Bett befreit, sondern IN sein Bett. Er wird dazu befreit, Fluss zu sein. Er wird dazu befreit, seinem Wesen gerecht zu werden. Ist er ein wahrer Fluss, ist er wirklich frei.
Freiheit ist dort, wo die Wahrheit regieren kann. Freiheit ist dort, wo etwas seinem Wesen gemäß sein kann.
Eigentlich ist dieses Prinzip jedem klar, doch meist ist es einem nicht bewusst, wo wir es überall einsetzen. Wenn heute versucht wird, verschwundene Tierarten wieder einzubürgern, erhofft man natürlich, dass die frei gelassenen Tiere sich möglichst genau ihrem Wesen getreu verhalten. Der frei gelassene Biber soll Dämme bauen, der Uhu Mäuse jagen, das Wisent im Wald leben. Die Voraussetzungen dafür habe ich mit meinem Wissen über diese Tiere geschaffen. Hier ist es für jeden offensichtlich: die Wahrheit macht das eigentliche Wesen sichtbar – in der Freiheit kann es sein. Ich brauche also beides, Wahrheit und Freiheit, denn beide gehen zusammen.

Ein Problem

Doch woher nehme ich beides? Freiheit für Fluss und Biber mögen ja angehen – da weiß ich recht genau, was sie brauchen, da kenne ich ihr Wesen gut genug. Doch wie soll ein Mensch frei sein?
Hier gibt es einen begrenzenden Faktor: mich. Die Wahrheit über irgendeinen Menschen kenne ich nicht, nicht einmal über mich selbst. Nicht einmal meine eigenen Potentiale kenne ich wirklich. Ich weiß nicht einmal, ob es sie gibt. Wie soll ich gemäß meinem Wesen frei sein, wenn ich es nicht kenne?
Unsere Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen, ist definitiv beschränkt. Tatsächlich beschränkt sie sich auf die Wahrnehmung des Status Quo mit meinen Sinnen, und selbst die sind sehr beschränkt. Ich kann mein Erkennen durch Erfahrungen und erlerntes Wissen erweitern, doch niemals werden mir alle faktischen Aspekte, jedes Potential und jedes Gedacht-Sein zur Verfügung stehen. Es ist immer nur ein Teilbereich.
Darüber hinaus kann ich bei der Wahrheitssuche, der Wesenssuche, Dinge und Aspekte verwechseln, vermischen und meinen Vorlieben unwissentlich den Vorzug geben. Mein eigenes Bild von Wahrheit ist zwingend unvollständig und subjektiv. Eine Wahrheit, die über das hinausgeht, ist für mich nicht erreichbar.
Das Konzept einer befreienden Wahrheit kann für mich daher nur momentan sein. Aussagen eines Menschen über einen Bereich, der dem Mensch nicht zugänglich ist, verbieten sich logischerweise. Eine Lehre ist sinnvoll, solange sie mich bereichert. Darüber hinaus ist sie Anmaßung und Indoktrination. Jeder erkennt einen anderen Teilbereich und hat eine daher andere Wahrheit. Jeder erkennt seins; Glauben und Religion sind somit Privatsache. Die Wahrheit kann bestenfalls theoretisch definiert werden, als Summe aller Teilwahrheiten.
Dass ein Mensch, und sei er Papst, Verbindlichkeit für alle verkündet, verbietet sich dementsprechend. Daher lehnen viele die Kirche ab, die sich anmaßt, Wahrheit für alle zu verkünden, ohne sich intern überhaupt einig zu sein. Absurd! Diese Ablehnung ist durchdacht, mit gutem Gewissen begründet und darf nicht abgetan werden, denn sie ist logisch und entspricht dem Erleben.
Entsprechend ist heute Freiheit für viele die Erlaubnis zur Unverbindlichkeit, zum Leben aus dem Moment, denn Unverbindlichkeit scheint das einzige Konzept zu sein, das niemanden einschränkt. Ich bin frei, wenn ich letztlich in jedem Moment etwas anderes sein kann und von meinen Mitmenschen keine Kontinuität erwarte. Denn ich habe die Gültigkeit meiner eigenen Teilwahrheiten zu respektieren, wie auch die Gültigkeit der Wahrheit eines jeden anderen Menschen.

Doch hier tut sich eine Sackgasse auf, ein Dilemma: Der Tiger wurde zum Tiger-Sein befreit, der Fluss in sein Bett. Befreiung ist die Befreiung des Wesens. Der Mensch aber kann, wie gezeigt, die Wahrheit über sich selbst aufgrund seiner Schranken nicht wirklich vollständig wissen. Doch es gilt: mangels beleuchtender Wahrheit kein erkanntes Wesen, mangels erkanntem Wesen keine sinnvolle Freiheit. Es sind Teilbereiche, die da sichtbar werden. Ich muss mich mit der subjektiven Wahrheit und der daraus resultierenden immer falschen Freiheit zufrieden geben.
Doch das ist gefährlich. Wenn man einen Baum dazu befreit, Blatt zu sein, ist das zwar ein wahrer Aspekt, doch zugleich eine schlimme Verstümmelung. Die subjektiven Wahrheiten führen zu Freiheiten, die gar nicht frei sind, sondern selbstgewählte Versklavungen, die mich von meinem Wesen abschneiden. Denn: das Wesen ist da, ob ich es nun kenne oder nicht.

An dieser Stelle habe ich drei Möglichkeiten.

  • Die erste Möglichkeit: ich verschließe die Augen vor dem Problem und lebe vor mich hin. Diese Möglichkeit soll hier ausscheiden, auch wenn jeder sicher häufig danach handelt.
  • Die zweite Möglichkeit: ich glaube an die Subjektivität der Wahrheit. Dieser Glaube wäre gleichermaßen die mutige Erkenntnis der eigenen Begrenztheit und die Kapitulation davor. Ich würde sagen: es gibt keine absolute Wahrheit. Und ich würde damit paradoxerweise diesen einen Satz zur absoluten Wahrheit erheben. Ich lebte in diesem ständigen Paradoxon, das ich letztlich selbst wäre.
  • Schwerer ist die dritte Möglichkeit: ich ertrage meine Unfertigkeit. Ich akzeptiere die Stichhaltigkeit der Logik, der sie Einwände folgen, und erwarte dennoch eine Lösung.

Ich entscheide mich für die dritte Lösung. Wenn ich diese Logik nicht widerlegen kann, denke ich sie eben zu Ende. Ich weiß, dass ich die Wahrheit nicht finden kann. Wenn alles Menschliche automatisch begrenzt ist, gibt es nur noch eine Möglichkeit: Weiterführendes muss aus dem Bereich jenseits der Grenzen zu mir kommen. Es kann nicht erdacht worden sein, nicht einmal gezielt gesucht worden sein. Es muss aus eigenem Antrieb zu uns kommen.
Meine Anforderungen an eine Wahrheit über den Menschen sind also: Die Wahrheit muss größer sein, als ich fassen kann. Ich muss sie nicht finden, sondern sie muss mich finden. Ich brauche eine Wahrheit, die selbst freiwillig handeln kann. Ich brauche eine Wahrheit, die eine Person ist, die Interesse an mir hat.

Die Wahrheit macht etwas

Damit sind wir am Herzen des Christentums angelangt, denn genau das ist passiert: Gott hat sich uns offenbart. Das, was wir glauben, kam aktiv zu uns, wurde uns aus eigenem Antrieb erzählt. Deshalb kommt unser Glaube vom Hören, nicht vom Nachdenken. Gott ist die Wahrheit, die von sich aus zu uns kommt. Nicht wir haben die Wahrheit gefunden, sondern sie hat uns ergriffen.
Doch reicht das? Wenn, wie gezeigt, der Mensch als Medium zur Weitergabe der Wahrheit nicht ausreicht, benötigt der offenbarte Glaube eine Pflege durch seinen Offenbarer selbst. Uns überlassen ginge sie den Weg alles Bewussten: sie würde zum Teilbereich und damit untauglich.
Im Alten Testament wurde das durch die Propheten und von Gott berührte Menschen getan: immer hat Gott selbst dafür gesorgt, dass seine Wahrheit nicht in den Köpfen der Menschen langsam verkümmerte.
Und heute? Keine Propheten. Aber eine Zusage, die alles erklärt: „Ich bin bei Euch bis ans Ende der Welt!“. Und ein Konzept: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!“. Gott selbst garantiert für Seine Wahrheit und sagt, wo wir sie finden.
Ohne diese Garantie wäre die Lehre der Kirche eine Sammlung alter Sitten und begrenzter Erkenntnis, mit ihr ist sie die immer deutlicher werdende Auskristallisation von Gottes Willen. Ohne diese Garantie wäre die Kirche dazu verdammt, die Offenbarung langsam zu verschleiern. Mit ihr ist sie hingegen die notwendige Pflege, die Gott selbst Seiner Offenbarung angedeihen lässt.
In Seiner Kirche finden wir die Wahrheit. Nicht in den Personen, sondern in Ihm der durch sie hindurch scheint. Das Vertrauen, das wir in die Kirche haben können, ist umso größer, je weniger wir in ihr die Menschen sehen. Ihre Aufgabe ist keinerlei Selbstzweck: durch sie soll Gottes Licht scheinen, sonst nichts. Kein Heiliger hat je auf etwas anderes vertraut als auf Gott.
Die strahlendste Kirche ist die, die sich von allem frei macht, was nicht von Gott kommt, die sich entweltlicht. Die nicht uns, sondern Gott in den Mittelpunkt stellt, damit nicht wir die Wahrheit auf uns selbst zurechtstutzen, weil wir sie haben müssen, sondern selbst wachsen in der Wahrheit, die uns ergriffen hat. Weil sie uns liebt, es will und deshalb selbst zu uns kommt.

Unsere Ausgangspunkte waren: was wahr ist, muss stimmen. Freiheit ist, wo die Wahrheit, wo das Wesen, sein können. Wir sind den Gedanken derer gefolgt, die aus guten Gründen die Kirche ablehnen, haben nicht widersprochen, sondern nur zu Ende gedacht und unsere Grenzen akzeptiert.
Das Denken diente dazu, diese eigenen Grenzen zu finden. Und es macht zugleich sensibel, weil man zu erahnen beginnt, was es heißt, dass Gott sich offenbart.
Und damit wir finden uns wieder bei Christus, der uns frei macht, indem er uns sein Wort verkündet. Der uns unser wahres Wesen zeigt, indem er uns erklärt, wozu wir gedacht sind. Und wir finden uns wieder in Seiner Kirche. Nicht weil wir Regeln suchen, sondern weil wir dort Sein Wort finden, das uns frei macht.
„Ich bin das Licht der Welt“ sagt Christus. „Ich bin die Wahrheit“. Die Wahrheit ist Person, handelnde Person. Und die Wahrheit wird uns frei machen. Sie machte es, nicht wir.

Samstag, 22. März 2014

Liebe Leserin, lieber Leser!

Der Glaube kommt vom Hören. Das Wichtigste, was ich zu tun hätte, wäre also, das weiterzuerzählen, was ich von Gott gehört habe.

Nun ist es bei mir so, dass ich gar nicht sooo gut zuhören kann: vieles lasse ich nicht stehen, sondern drehe es gleichsam durch den Fleischwolf meiner Gedanken. Was dort herauskommt, ist für mich leichter verdaulich und mit dem vermischt, was das Gehörte für mich schmackhaft macht.
Ich beschreibe diesen Prozess der (zumindest versuchten) aktiven Aufnahme mit Absicht so problematisch: ich kann durchaus mit meinen eigenen Gedanken das Gehörte so verändern, dass es falsch wird. Daher wird es hier wohl nichts geben, was theologisch wirklich richtig ist, oder es wäre ein Zufall. Ziel dieses Blogs ist es, diese Gedanken anzubieten, denn wovon das Herz voll ist, davon läuft die Tastatur über. Sollte es jemanden weiter bringen (mich bringen die Gedanken Anderer oft weiter), ist es gut. Wenn nicht, habe ich es wenigstens für mich gesammelt, und das macht auch Spaß.

Ich werde hier dann schreiben, wenn einmal ein längerer Text entstanden ist, in dem ich meine eigenen Gedanken zum Glauben formuliert habe. Ein Text, der dort, wo ich normalerweise blogge, in Echo Romeo, zu lang wäre. Das ist eher selten der Fall, aber ab und zu kommt es vor.

Und jetzt wünsche ich viel Spaß beim Lesen!

Ganz herzliche Grüße von
Bastian

Vortrag zu den Geboten Gottes

Hier ein Vortrag zum Thema Gebote, den ich vor einer kleinen Runde Männer bei einem sehr schönen Einkehrabend in Marburg gehalten habe:


Guten Abend!

Eine Bemerkung vorab: Es geht in der Kirchen natürlich nicht nur um Gebote. Es ist klar, dass es sich bei diesem Thema um einen Ausschnitt der Verkündigung behandelt. Natürlich handelt das Wort Gottes nicht nur von Geboten. Allerdings sie sind nun einmal da. Sie sind da, und man kommt um eine Auseinandersetzung nicht herum. Das möchte ich mit Ihnen versuchen.

Ich zitiere die Bibel, die Heilige Schrift, Psalm 119, Vers 47:

An deinen Geboten habe ich meine Freude, ich liebe sie von Herzen. Noch einmal langsam: An deinen Geboten habe ich meine Freude, ich liebe sie von Herzen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit diesem Satz spontan geht, aber ich kann es mir vielleicht vorstellen, denn ich weiß, wie es mir geht.
Die Persönliche Erfahrung von Geboten ist: ich soll oder muss. Und zwar etwas, was ich ohne Gebot nicht immer täte. Für Selbstverständliches braucht man kein Gebot. Zumindest habe ich noch niemals vom Gebot der Schwerkraft gehört: Du sollst nach unten fallen. Das tue ich ohnehin.
Gebote verlangen Dinge, die ich nicht immer automatisch mache. Und damit sind sie konfliktbehaftet: sie mischen sich ein in mein Leben und schießen dort quer. Genau dazu sind sie da.
Die Gebote Gottes sind da keine Ausnahme – und von denen gibt es einige. Am bekanntesten sind die berühmten Top10. Oder vielleicht besser gesagt: es ist bekannt, dass es 10 Gebote gibt. Die Wenigsten bekommen sie zusammen. Ich übrigens auch nicht, zumindest nicht in der richtigen Reihenfolge.

Was man von diesen Geboten weiß, findet man meist theoretisch richtig, aber eben nur theoretisch. Denn wenn es an die Umsetzung geht, an die ganz einfache Befolgung im täglichen Leben, dann kann ich nur feststellen: die Diskrepanz zwischen mir und dem, was Gott will, ist riesig. „Du sollst nicht töten.“ Das habe ich, soweit ich weiß, gehalten. „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus etc.“ – Fehlanzeige. Ich bin Architekt. Und überhaupt, das Begehren…

Die Gebote scheinen vor allem zu einem geeignet: mir zu zeigen, dass ich unvollkommen bin. Und ich bin offenbar ungeeignet, nach ihnen zu leben Die persönliche Überforderung durch Gottes Gebote ist allgegenwärtig - der Gerechte fällt siebenmal am Tag, sagt die Bibel. Na prima!
Gebote und Lebenswirklichkeit gehen irgendwie nicht zusammen. Und jetzt schreibt jemand ernsthaft, an Gottes Geboten habe er seine Freude, und er liebe sie von Herzen. Für mich waren die Gebote lange eine große Provokation, an der mein Glaube zu scheitern drohte. Doch ich kann, denke ich, diesen Satz unterschreiben.

Ich habe lange Zeit nach einem Ausweg gesucht aus der Kluft zwischen mir und dem Anspruch Gottes. Es gab keinen. Ich konnte letztlich zwischen zwei Alternativen wählen: Scheitern oder die Gebote irgendwie von mir fern zu halten.
Und weil das Scheitern unschön ist, hat die Christenheit viele gute Argumente gesammelt, warum es nicht wichtig sein soll, die Gebote zu halten.

  • Im Christentum gehe nicht um das Halten von Geboten.
  • Gebote seien alttestamentarisch und seit Christus überholt.
  • Gott sei die Barmherzigkeit, zu der enge Gebote einfach nicht passen.
  • Gott liebe mich, wie ich sei – ich müsse nichts halten oder ändern.
  • Gott habe uns vergeben – und damit seien Gebote hinfällig.
  • Usw…

Alles läuft auf dasselbe hinaus: die Gültigkeit der Gebote wird weginterpretiert. Christliche Freiheit ist, sie nicht halten zu müssen. Jesu Botschaft macht dann nicht nur von der Sünde frei, sondern auch gleich von den Geboten.
Nur sind die folgenden Worte leider aus dem Neuen Testament, und zwar von Christus persönlich:
Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
Das klingt nicht nach einer irgendwie gearteten Ungültigkeit. Im Gegenteil.

Mir ist klar geworden: Entweder glaube ich an Gott, wie er sich offenbart, oder ich glaube an meine eigene Interpretation von ihm. Das ist dann aber nicht mehr Gott.
Der Glaube an Gott konnte mich angeblich frei machen. Ein Glaube an meine eigenen Gedanken könnte das nicht. Der könnte mich nur immer fester in der eigenen Begrenztheit verankern. Auf so einen selbstgemachten und selbst erdachten Gott konnte ich verzichten – er ist nichts als eine große Täuschung, eine fromme Tarnung meiner Sünden.
Es gabt nur einen Weg: Gott als Ganzen und damit auch seine Gebote ernst nehmen und schauen, wohin man damit gelangt. Entweder hat Gott dafür eine Lösung, oder er ruft mich auf einen Weg, den ich nicht gehen kann. Dann wäre er unlogisch und willkürlich. Auf so jemanden aber wäre kein Verlass…

An dieser Stelle muss ich einen kleinen Einschub machen. Bis hierhin konnte ich mit einer gewissen Autorität sprechen. Die Problematik, die ich aufgezeigt habe, kenne ich nicht nur von mir. Im Gegenteil kenne ich niemanden, der mit diesen Widersprüchen nicht selbst vertraut ist. Das dürfte für die meisten Christen Allgemeingut sein.
Den einen belastet dieses Thema mehr, den anderen weniger, aber kennen tut es eigentlich jeder. Mich hat es sehr belastet.
Was nun folgt, ist der Umgang, den ich persönlich damit gefunden habe. Bitte nehmen Sie es als Zeugnis, aber hinterfragen Sie es gerne auf Logik und theologische Richtigkeit. Ich will keinen Anspruch aufstellen, sondern nur vortragen, was mir an diesem Thema so viel bedeutet.

Es ist mir also klar geworden, dass ich um die Gebote nicht herum komme. Und damit stand ich plötzlich vor einem existentiellen Problem:

  1. Es gibt Gebote, von denen Gott will, dass ich sie halte. Er ruft mich auf, ihm und seinem Wort zu folgen.
  2. Ich kann das nicht oder bestenfalls nur gelegentlich ansatzweise.

Ergo: Der Ruf der Nachfolge ergeht an mich, aber ich kann ihm nicht folgen, ohne ihn zu relativieren. Ich kann kein wirklicher Nachfolger Jesu sein.
Denn es stimmt: ja, Gott will, dass ich ihm gehorche, und nein, ich kann das nicht oder jedenfalls zu wenig.
Das dürfte vielen so gehen. Da gibt es eine Kluft, über die kommt man nicht hinweg. Also ich zumindest nicht, und meine Bekannten auch nicht.
Vor dieser Kluft musste ich schlicht kapitulieren.

Und mit dieser Kapitulation wurde es interessant.
Ich begann, mein Versagen zu akzeptieren und danach zu fragen, wie Gott denn damit umgeht. Und ich entdeckte, dass in meiner Liste ein Punkt fehlt.
Gott sagt:

  1. Ich will, dass Du mir und meinen Geboten folgst.
  2. Ich weiß, dass Du das nicht kannst.
  3. Wenn Du Dich auf den Weg machst schenke ich Dir, was Dir nicht gelingt. Ich erledige, was Du nicht schaffst.

Für dieses Handeln Gottes gibt es ein Wort: Vergebung.
Diese Vergebung ist viel mehr, als ein „Ich bin Dir nicht mehr böse.“, und hinterher steht man so dumm wie zuvor vor demselben Problem. Gottes Vergebung verändert, und das, ohne zu verharmlosen oder die Tatsachen zu leugnen. Gottes Vergebung ist deshalb realistisch und tragfähig.
Die Kluft zwischen Gottes Wunsch und meiner Wirklichkeit, die ich so erschreckend wahrgenommen habe, bleibt bestehen. Gott leugnet sie nicht, denn sie ist faktisch da. Gott nivelliert sie nicht, denn sein Wort steht fest. Gott überbrückt sie. Mehr noch: er füllt die ganze Kluft mit seiner Vergebung. Da, wo der Schreck saß und immer noch sitzt – so schnell vergisst man seine Angst nicht – da ist plötzlich ein ebener Weg.
Mein Fehler war, die Lösung bei mir zu suchen. Zu glauben, es müsse einen Weg geben, wie ich damit klar käme. Die Lösung ist jedoch der Blick auf Gott und das, was er für mich tut, für mich und für jeden hier. Die Lösung ist der Blick auf Gott.

Doch auch, wenn das fromm und sinnvoll erscheint, könnte das erst einmal ein Allgemeinplatz sein. Ich komme mit so etwas nicht gut klar. Daher kommen jetzt ein paar kritische Fragen.
Man darf Gott kritische Fragen stellen. Er wünscht das sogar, solange man bereit ist, sie sich auch von ihm beantworten zu lassen, und nicht meint, die eigene Frage beweise bereits, dass man es besser weiß als Gott. 

Also die erste kritische Frage: Ist hier Vergebung nicht gleichbedeutend mit einer Relativierung der Gebote?
Wo, bitte, ist der Unterschied zu der Lösung, die ich eben noch abgelehnt hatte - zu der Lösung, die sagte, man brauche die Gebote nicht zu halten? Das läuft doch auf das Gleiche hinaus.
Ich meine, wozu stellt Gott Gebote auf, wenn er weiß, dass er mir die Erfüllung schenken muss? Im Bild gesprochen: wozu legt Gott einen Preis fest, den er selbst bezahlen muss, weil er für mich zu hoch ist? Den Umstand könnte man sich sparen. Kann er da nicht gleich sagen: „Du bist prima, wie Du bist!“? Damit hätten wir dasselbe Ergebnis, aber ohne den ganzen Haufen Schulden, der sich in meinem Leben ansammelt, und den zu begleichen ich ihn ständig bitten muss.
Es klingt ja hehr und großartig, wenn Gottes Wort fest steht, aber warum steht etwas fest, das derart sinnlos ist? Wozu Gebote, die man nicht halten kann? Was soll das ganze, außer mir ein schlechtes Gewissen zu machen?

Das Geheimnis der Gebote ist: sie sind zugleich Verheißungen.
Denn Wozu sind die Gebote da? Sie sollen uns sagen, wie wir in Gottes Nähe leben können. Und damit beschreiben sie natürlich auch, wie es sein wird, bei Gott zu leben.
Du sollst nicht sündigen heißt zugleich: in meinem Reich wirst du nicht sündigen. Das Gebot zu lieben ist die Verheißung: in meinem Reich wirst Du lieben. Wie es im Gebot heißt: mit aller Kraft und von ganzem Herzen. Da erfahre ich keinen Stress und keine Ablehnung. All das, worum ich hier ringe, bekomme ich dort geschenkt. Geschenkt? Ja – ein Blick auf Gott am Kreuz zeigt mir, dass er sagt: „Du kannst alles von mir haben!“.
Dann aber sind die Gebote erst einmal ein Gewinn, gleich ob ich sie halte oder an ihnen scheitere: wenn ich es nur Gott hinhalte, wird aus dem, was ich nicht habe, das, was ich bekommen werde.
Das ist eine der wichtigsten Grundlagen für das Beten: dass ich mich selbst Gott hinhalte. Und er macht aus dem, was ich nicht habe, das, was ich bekommen werde. Das ist ein weiterer Sinn der Gebote: dass ich mich dazu bringen, mich und mein Leben Gott anzuvertrauen. Sie erinnern mich daran, dass da jemand ist, der alles für mich tut. Gottes Aufforderung „Mach!“ führen zu meiner Bitte „Ergänze Du, was mir fehlt!“. Und Gott tut es.
Die Gebote formulieren nicht nur das abstrakte Ideale, das Unerreichbare. Sie definieren zugleich das Geschenk, das uns erwartet. Und deshalb sind diese Gebote liebenswert.
Sie können gar nicht hoch und anspruchsvoll genug formuliert sein, diese Gebote. Wenn jemand all meine Schulden bezahlt, wenn jemand alles ergänzt, was mir fehlt, wäre ich dumm, wenn ich nicht zum Höchsten, Anspruchsvollsten und Schönsten greifen würde. Und genau das bekomme ich von Gott geboten und damit angeboten: die Fülle. Alles, was ich tun muss, ist, ihm meine Leere hinzuhalten.
Die heute oft gelehrte Theologie, Gebote seien unwichtig oder rein psychische Lebenshilfen, diese Theologie ist eine seelsorgerische Katastrophe, denn sie raubt den Teil der Wahrheit, der uns den Zugang ermöglicht.
Ich finde: wenn man sich etwas Gutes tun will, sollte man die Gebote lesen und dabei daran denken, dass das zugleich Verheißungen sind, für mich ganz persönlich.


Eine weitere kritische Frage: mit welcher Autorität rede ich hier eigentlich?
Ich predige Gebote, von denen ich zugebe, dass ich regelmäßig an ihnen scheitere. Einem zigarrenrauchenden Lungenfacharzt und einem fetten Diätberater glaubt man nicht. Bin ich jetzt der neue Freund von denen: der unmoralische Geboteverteidiger?
Diese Frage ist berechtigt. Ich stelle sie mir selbst immer wieder: wer bin ich, so zu reden? Ich habe nicht den geringsten Grund dafür. Zumindest, was mich selbst angeht. Wäre es mein Anspruch, den ich Ihnen erzähle, wäre es eine Unverschämtheit.
Doch was ich sage, kommt nicht von mir – ich gebe es nur weiter. Die Gebote kommen von Gott. Es geht nicht darum, ob ich gut bin, sondern darum, dass Sie von Gott große Verheißungen bekommen haben! Sie haben einen Sechser im Lotto gezogen, und es dürfte Ihnen ziemlich egal sein, dass der Lottobote selbst nicht sehr reich ist.
Das ist bei der Verkündigung so wichtig: nicht das eigene Kapital zu predigen, sondern den Hauptgewinn von Gott zu überbringen. Der ist interessant. Alles andere kann jeder einigermaßen gute Soziologe oder Politiker besser. Zudem: das eigene Kapital glaubt man uns ohnehin nicht – mit Recht.


Noch eine kritische Frage: Ist das Ganze nicht eine Art soziales Spielchen: Ich strebe nach etwas, was ich sowieso nicht erreiche, um meinen guten Willen zu zeigen? Heißt das nicht letztlich auch: ich tue nur so, als ob?
Nein, es ist mehr. Paulus schreibt:
Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an. Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird. Dann könnt ihr euch ein sicheres Urteil bilden, welches Verhalten dem Willen Gottes entspricht, und wisst in jedem einzelnen Fall, was gut und gottgefällig und vollkommen ist.
Wir sollen uns auf Gottes Logik der Gebote und Verheißungen einlassen, wir sollen ihn wirken lassen. Dann erkennen wir, was zu tun ist. Die Gebote werden zum Wegweiser, und Gott befähigt uns mehr und mehr, ihnen zu folgen. Gott wird denen, die zu ihm unterwegs sind, die Ankunft schenken.
So zu tun, als ob, reicht dafür nicht. Denn wer sich gar nicht erst auf den Weg macht, schlägt nicht nur das Gebot, sondern natürlich auch die enthaltene Verheißung aus.


Noch eine kritische Frage: Warum das Ganze schon hier und nicht einfach nach dem Tod?
Warum hier mit Anforderungen konfrontiert sein, die mit dem „wirklichen“ Leben, wie wir es nun einmal kennen, derart inkompatibel sind?
Kennen Sie den Film „Plötzlich Prinzessin“? Ich habe eine 12-jährige Tochter und kenne ihn. Es geht darum, dass ein völlig normal lebendes Mädchen plötzlich Thronerbin eines kleinen Landes wird, das sie gar nicht kennt. Und sie sieht sich mit Anforderungen konfrontiert, die sie nicht erfüllen kann und auch nicht erfüllen will. Aber indem sie mehr und mehr begreift, wer sie ist und was auf sie wartet, erkennt sie auch den Sinn der Änderungen. Am Ende füllt sie das Amt aus und ist zugleich mehr sie selbst, als sie es vorher war.
So geht es uns. Wir sind Königskinder.
Wir sind die Freunde und Geschwister des Sohnes Gottes. Was wir lernen sollen, ist, als Könige zu leben. Die Gebote beschreiben unsere Würde. Und weil wir schon jetzt Königskinder sind, können wir nicht damit warten als solche zu leben.
Wir sind Herrscher! Klingt gut, aber: Wenn alle Herrscher sind, über wen oder was herrschen wir denn dann noch? Die Antwort ist: über uns. All das in uns, was uns das Leben schwer macht, die Trägheit und Traurigkeit, die Lieblosigkeit, alle Gedanken, die wir nicht zu Ende denken können, all die Gefühle, die wir nicht in unserer Gewalt haben, die Ideen, die zu groß für uns sind – kurz: all das, was an den Geboten scheitert.
Dieses riesige Potential in uns, an das wir nicht wirklich heran kommen und das oft mehr Last als Hilfe ist: all das wird uns aufgeschlossen und dient unserer Freude. Es wird ein Reich der reinen Freude werden, das wir mit anderen teilen können. So werden wir wir selbst sein, mehr als wir es in diesem Leben sein können.
Bei Gott zu sein wird kein Aufgeben unserer persönlichen Eigenschaften – es wird deren wirkliche Freisetzung. Alles, was wir sind, kann aufblühen. Herrschen bei Gott ist Freude. Auch das ist die Verheißung der Gebote.

Ich fasse zusammen: Es gibt Gebote, und sie können eine Last sein. Wir brauchen Hilfe. Geben kann die nur Gott, weil Er allein nicht nur dazu auffordern, sondern auch dazu befähigen kann.
Es funktioniert nicht, wenn ein Christ sich bei der Beantwortung dieser Fragen auf die menschlichen Aspekte beschränkt. Da kann man nur scheitern. Wir haben Gott – auf ihn können wir uns verlassen.
Wenn man erkennt, dass Gottes Gebote uns überfordern können, gabelt ich der Weg: die Welt sagt, dann ist eben das Gebot falsch, und Gott sagt: Meine Gebote führen zu Mir und Ich vergebe die Sünden auf diesem Weg.
Die Welt ändert angesichts eines schweren Weges das Ziel, Gott stärkt und verzeiht das Fallen. Das hohe Ziel gibt er nicht auf – uns zuliebe. Er will, dass wir das Leben in Fülle haben, und zwar in Ewigkeit. Christus will uns als Brüder und Schwestern bei sich haben. Das ist Seine Logik: die der höchsten Berufung, der Verheißung und der Vergebung. Diese Logik zu verkünden ist uns aufgetragen. Sie fehlt heute an allen Ecken und Enden.
Die Zukunft des Glaubens hängt weniger an der Frage nach der Kirchensteuer, sondern an der Logik, der unser Denken und Reden folgt.
Noch einmal Paulus:
Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an. Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird. Dann könnt ihr euch ein sicheres Urteil bilden, welches Verhalten dem Willen Gottes entspricht, und wisst in jedem einzelnen Fall, was gut und gottgefällig und vollkommen ist.
Darüber nachzudenken und davon zu sprechen macht schon jetzt und hier Freude.

Ich habe auf der Herfahrt übrigens ein weltliches Gebot gefunden, das dem Verheißungscharakter von Gottes Geboten irgendwo entspricht und keine reine Vorschrift ist, das einzige, das mir einfällt: das Reinheitsgebot für Bier.
Sicher bedeutet es, man dürfe das und das nicht ins Bier schütten, aber vom Wesen her ist es ein Qualitätssiegel. Viele Brauereien wollen sich daran halten und viele Kunden wollen Bier in dieser Qualität.
Ein brauchbares Beispiel, und dazu eines, auf das man ab und zu gestoßen wird. Auch in dieser Hinsicht eine gute Sache.

Vielen Dank!